Jenseits der Kulturen

Der Verein für transkulturelle Bildung in Bonn Bad Godesberg

Unsere Sprache verrät, was wir nicht verstanden haben und was wir noch lernen sollten. Wenn wir von Ein- und Zuwanderung sprechen, fallen uns merkwürdige Begriffe ein: Multikulti, Interkultur, Migrationshintergrund, Zuwanderungsgeschichte und viele mehr. Ein inzwischen in der wissenschaftlichen Debatte etablierter Begriff ist der der Transkultur, der zeigen soll, wie sich verschiedene Kulturen gegenseitig beeinflussen und einander durchdringen.

In Bonn haben engagierte Menschen den Verein für transkulturelle Bildung e.V. (www.anqa-ev.de) gegründet, dessen Ziel es ist, Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen und Vorurteile abzubauen. Schwerpunkte der Arbeit des Vereins sind der interreligiöse Dialog und der Einsatz für eine offene Gesellschaft.

Auf einem kleinen Faltblatt wirbt der Verein mit einigen Sätzen von Max Planck, die dieser im Jahr 1947 als „Aufgabe der Wissenschaft“ beschrieben hat: „Hier gibt es für einen besinnlichen Menschen nur zwei Arten der Einstellung, die er wählen kann: Entweder Angst und feindseliger Widerstand oder Ehrfurcht und vertrauensvolle Hingabe.“

Norbert Reichel: Die Buchstaben ANqA stehen für „Anschaulich in der Meinungsbildung“, „Nüchtern bei ihrer Betrachtung“, „quantenkommunikativ in ihrer Erforschung“, „Anregend für die Selbstbildung“. Drei dieser Begriffe sind leicht verständlich, aber was verbindet ihr mit „quantenkommunikativ“?

Ayfer Dağdemir: Wir wollen religiöse Aussagen – hauptsächlich, aber nicht nur – aus der jüdisch-christlich-muslimischen Tradition in die Mitte der Wissenschaft setzen. Wir sagen, dass das größte Kapital der Menschheit die Kommunikation ist. Und diese findet grundsätzlich immer nur dann von Herz zu Herz statt, wenn sie dem Leben, Schönen, Wahren, dem Gemeinwohl etc. dienlich ist. Sie bedarf keiner technischen Hilfsmittel. Um mit Luhmann zu sprechen: wir sind uns bewusst, dass das, was wir von der Gesellschaft und ihrer Welt wissen, wir fast ausschließlich durch die Massenmedien wissen. Diesen zum Teil negativen Mechanismen wollen wir unser intuitives Wissen entgegensetzen, in dem wir sagen: Religion ist nicht nur Glaubens-Sache, sondern auch Wissen-Sache. Und Religion als Erinnerungskultur macht genau darauf aufmerksam: Das Herz als Sitz der Spiritualität vereint alle Menschen geschwisterlich.

Norbert Reichel: Was verbirgt sich hinter dem Begriff „transkulturell“ in eurem Namen?

Ayfer Dağdemir: Das Wort „transkulturell“ ist im Grunde ein Synonym für „spirituell“. Die Menschheit hat je nach Ort und Zeit die unterschiedlichsten Kulturen hervorgebracht, die ihrer Spiritualität entspringen.

Norbert Reichel: Und hinter den drei anderen Buchstaben von ANqA?

Ayfer Dağdemir: Anschaulich(keit) ist eines der elementarsten didaktischen Prinzipien des Menschen, die in seiner Entwicklungspsychologie schon maßgeblich ist. Wir begreifen Dinge immer besser, wenn wir uns ein „Bild“ davon machen können, wenn es auch nicht immer graphisch vermittelt sein muss.

Nüchtern im doppelten Sinne: die Erinnerungskultur vieler Religionen legt nahe, dass das Fasten den menschlichen Geist frei macht, um die Dinge nüchterner zu betrachten. Mit nüchternem Magen kann man oder frau sich als „organisches System“ vom gesamten Öko-System auf natürliche Weise lösen und sich selbst regenerieren, während sie gleichzeitig weniger Energie und Nahrung verbrauchen und weniger Müll produzieren.

Nüchtern betrachtet ist eine Weltdemokratie nur dann wirklich möglich, wenn die, die mehr haben, freiwillig Verzicht leisten. Und das macht jeder wirklich auch nur dann gerne, wenn das „materiell weniger“ durch ein „spirituell mehr“ ersetzt wird. Das ist es, was die großen Religionen tradieren ist: Da führt kein Weg vorbei am nüchternen Magen!

Anregend ist alles, was das eigene Ich anspricht. Wir wollen jeden persönlich ansprechen immer mit der Option, dass Gleichheit und Individualität sich niemals gegenseitig ausschließen.

Norbert Reichel: Ich habe immer Schwierigkeiten, bei allem, was mit Migration zu tun hat, von „Kultur(en)“ zu sprechen. Der Begriff ist reichlich diffus. Ein Begriff von „Kultur“ schwingt in eurem Begriff „transkulturell“ mit. Im Grunde geht es ja um die gegenseitige Durchdringung des Nahen mit dem Fernen, des Bekannten und Gewohnten mit dem Fremden und Ungewohnten. Was verbindet ihr mit dem Begriff „Kultur“? Habt ihr Alternativvorschläge, wie wir über „Kulturen“ sprechen könnten?

Ayfer Dağdemir: Ja, das hast du sehr schön beschrieben. Dass wir heute noch von „Migration“ sprechen, sagt doch mehr über den Betrachter als über das Betrachtete aus. Müssten wir diesen Begriff nicht längst schon mit Partizipation ersetzt haben? Mein Eindruck: „Migration“ vermittelt einen viel zu engen Begriff von „Nation“.

So wie Globalisierung als die Kehrseite der Individualisierung verstanden werden kann, so glauben wir an die Komplementarität aller Kulturen. Insofern müssten wir schon längst von einer Partizipationsgesellschaft reden, die die Identität ihrer Mitglieder durch einen gleichberechtigten Aushandlungsprozess zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung ermöglicht.

An einen „Kampf der Kulturen“ glauben nur diejenigen, die bedauerlicherweise als Einstellung „Angst und feindseligen Widerstand“ anstatt „vertrauensvolle Hingabe“ (Max Planck) wählen. Wir glauben an die Vision einer friedvollen Menschheit. Friedrich Rückert hat einmal gesagt, dass Weltpoesie Weltversöhnung bedeutet. Warum also sollen sich die Menschen nicht durch die Kultur einer friedlichen Sprache vereinen? Weltbürger, Weltgesellschaft und Weltdemokratie wären doch schon ein paar Grundbegriffe in unserer täglichen Lektüre?

Norbert Reichel: Auf eurem Faltblatt lese ich, dass ihr in den Bereichen Bildung, Beratung, Seelsorge und Prävention aktiv seid. Wie muss ich mir diese Arbeit vorstellen?

Ayfer Dağdemir: In Sachen Bildung und Prävention versuchen wir schon durch unsere Homepage einige Kompetenzbereiche abzudecken:

  • Extremismus bzw. Salafismus im Gegensatz zum Islam als Weltreligion,
  • dazu entsprechendes didaktisches Material, das wir u.a. mit der Bundeszentrale für Poltische Bildung erarbeitet haben,
  • Aufarbeitung gegenwärtiger „Migrationskultur“ in Deutschland durch Themenveranstaltung, z.B. die deutsch-türkischen Beziehungen in Geschichte und Gegenwart,
  • durch Synagogen-, Kirchen- und Moscheenbesuche von Schulen der Sekundarstufe I in Bad Godesberg versuchen wir, Kinder sozial zu stärken, indem wir sie kulturell bilden und sensibilisieren. Kulturelle Bildung als Inhalt und Methode Sozialer Arbeit ist die schönste Form der Prävention.

Eine andere schöne Form ist unser Tanzangebot für Jugendliche zwischen 12 und 16 Jahren, das wir gemeinsam mit dem Jugendleiter der Johannes-Kirchengemeinde Bad Godesberg in den Räumlichkeiten des Amos-Comenius-Gymnasium anbieten.

Seelsorglich tätig sind wir bei der Betreuung von muslimischen Inhaftierten in der JVA Rheinbach. Hier bieten wir einmal in der Woche einen islamischen Gesprächskreis, wo wir vor allem theologisch-praktische Themen behandeln. Zusätzlich bieten wir noch die Möglichkeit für Einzelgespräche, die sehr rege in Anspruch genommen wird.

Norbert Reichel: Gibt es bei euch auch individuelle Beratung in eurem Stadtteil? Kommen Menschen zu euch, um mit euch gemeinsam über ihre Fragen und Probleme zu diskutieren? Welche Partner*innen bezieht ihr bei eurer Beratung regelmäßig ein?

Ayfer Dağdemir: Ja, wir stehen sowohl für Einzelpersonen, als auch für politische und religiöse Gemeinden als Ansprechpartner in islamkundlichen , -theologischen und kulturellen Fragen zur Verfügung, z.B. haben wir über das Stadteiltreffen Bad Godesberg einen Arbeitskreis gebildet, bei dem wir über ein „Haus der Kulturen und Religionen“ nachdenken, das einen neuen sozialen Raum für einen fruchtbaren kulturellen Austausch bietet. Angestrebt ist auch ein Bündnis muslimischer Vereine undnOrganisationen, das in den spezifisch muslimischen Bedarfen Handlungsmöglichkeiten erörtern und erarbeiten soll. Für die nächste Zeit sind das schon zwei umfangreiche Themen für unseren Stadtteil.

Norbert Reichel: Politik sollte sich grundsätzlich immer gut wissenschaftlich beraten lassen. Ihr wollt den „Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis transparent“ machen, und „daraus Handlungsbedarfe ableiten“? Wie arbeitet ihr mit Wissenschaft zusammen?

Ayfer Dağdemir: Im Bereich der Naturwissenschaften ist der Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis eigentlich „selbstverständlich“. Nicht so verhält es sich im Bereich der Geisteswissenschaften. Hier sehen wir nicht immer den notwendigen Transfer von Wissensgewinn, Gesellschaft und Politik, die in vielen ihren Entscheidungen viel zu stark von tagespolitischen Meldungen und Schwankungen abhängig ist. Hier tut es Not, dass das umfangreiche Wissen an den Universitäten und Forschungseinrichtungen besser, schneller und nachhaltiger die Gesellschaft erreicht. Stattdessen haben wir hier Parallelgesellschaften. Konkret: Politiker alleine, ob national oder international, werden die lokalen wie globalen Probleme auf unserer Erde nicht lösen können, wenn in Zukunft nicht Professoren ihres Faches sich national wie international politisch stärker beteiligen. 90 Millionen Tonnen Öl täglich brauchen wir hochindustriellen Länder, um unseren „Lebensstandard“ zu führen. Dabei synthetisieren wir im Akkord zerstörerische Müllberge – ob materieller) oder geistiger Natur. Es kann nicht länger sein, dass das Wirtschaftssystem von arm nach reich im Grunde alle anderen Bereiche beherrscht.

Norbert Reichel: Die Bundeskanzlerin hat mit dem legendären Satz „Wir schaffen das“ viele Kräfte in Zivilgesellschaft und Behörden motiviert, die Ein- und Zuwanderung der vergangenen Jahre mit Zuversicht zu gestalten. Von ihr stammt aber auch der Satz „Multikulti ist gescheitert“. Sie hat zwar nicht gesagt, was sie konkret damit meint, aber wie wirken solche widersprüchlichen Botschaften auf Menschen, die selbst oder deren Eltern oder Großeltern ein- und zugewandert sind? Und wie wirken sie auf die Menschen, die der Meinung sind, dass sie immer schon hier lebten?

Ayfer Dağdemir: Nicht unbedingt motivierend. Zum 50.Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens hat Bundeskanzlerin Angela Merkel auf die Frage einer doppelten Staatsbürgerschaft geantwortet, dass „man nicht gleichzeitig zwei Heeren dienen“ könne. Als Fraubeträfe mich das ja noch nicht einmal, Ich kann nur aus meiner Perspektive als türkische Migrantin sagen, dass ich fast immer das Gefühl hatte, kulturell nicht dazuzugehören. Das ist unter anderem einer der Gründe, warum ich keinen deutschen Pass besitze, obwohl ich seit meinem sechsten Lebensjahr in Deutschland lebe.

Ich glaube nicht, dass mich ein Pass deutscher machen könnte, als ich es ohnehin schon bin. Insofern nehme ich die „bürokratischen Benachteiligungen“ gerne in Kauf. Dafür bin ich lieber Weltbürger.

Norbert Reichel: Was haben wir nach eurer Ansicht „geschafft“, was nicht, was sollten wir dringend schaffen?

Ayfer Dağdemir: Wir haben es geschafft, dass wir kulturelle Bildung zu sehr großen Teilen als soziale Arbeit verstehen und umsetzen. Das ist eine gute Richtung. Hier sollten wir weitermachen. Was wir noch nicht geschafft haben, ist, „Ressentiments bestimmten Begriffen gegenüber“ abzulegen, wenn es darum geht, Missstände in der Gesellschaft zu beschreiben: Menschen haben immer einen Hintergrund, da muss man den der Migration nicht immer besonders hervorheben.

Norbert Reichel: Ein tragisches Ereignis war die sogenannte „Kölner Sylvesternacht“ zum Jahreswechsel von 2015 auf 2016. Meines Erachtens hat dieses Ereignis, aber auch der Umgang mancher Politiker*innen damit, vieles zerstört, was vorher auf einem guten Weg war. Welche Auswirkungen habt ihr in eurem Stadtteil, in eurer Arbeit feststellen können bzw. feststellen müssen?

Bernd Ridwan Bauknecht: Solche Ereignisse befeuern bereits vorhandene Ressentiments. Vorurteile begegnen einem immer wieder, aber Anfang 2016 standen der Islam und die Muslime wieder mal im Mittelpunkt des Interesses. Für den Stadtteil hieß dies zum einen, dass Ansprech- und Dialogpartner aufgebautes Vertrauen wieder in Frage stellten. Zum anderen sorgte es aber auch für Widerstand in der muslimischen Community, die sich über verallgemeinernde Stigmatisierungen ärgerte. Viele junge Muslim/-innen, die hier aufgewachsen sind, sagten zu recht: „So sind wir nicht, wie ihr uns darstellt!“ Tatsächlich fanden während dieser Debatten auch Projektionen statt. Der Fingerzeig auf „die Muslime“ war eine scheinbare Entlastung für die Mehrheitsgesellschaft. Doch gleichzeitig offenbarte diese Art der Debattenführung öfters einen bedenklichen Umgang mit dem eigenen Frauenbild und dem eigenen Blick auf die vermeintlich „Fremden“.

Norbert Reichel: Menschen mit dem sogenannten „Migrationshintergrund“ erleben immer wieder, dass sie als Expert*innen für ihr jeweiliges „Herkunftsland“ angesprochen und sogar für das, was in diesem Land, zu dem viele von ihnen noch nicht einmal nähere Bindungen haben, geschieht, verantwortlich gemacht werden. Ähnlich geht es auch vielen Jüdinnen und Juden, wenn von Israel die Rede ist. Wie geht ihr damit um und was ratet ihr, wie man oder frau auf solche Ansprache reagieren sollte?

Ayfer Dağdemir: Unsere tägliche Sprache ist voll von Verallgemeinerungen. Im ersten Schritt ist Kontextualisierung wichtig, so dass dann Verallgemeinerungen auf den eigentlichen Einzelfall zurückgeführt werden können. Dann muss man begrifflich klarstellen: Nicht jeder Israeli ist Jude und nicht jeder Jude Israeli.

Norbert Reichel: Aladin El-Mafaalani hat in seinem Buch „Das Integrationsparadox“ die These aufgestellt, dass gelungene oder gelingende Integration automatisch zu mehr Konflikten führt, die Konflikte, die wir erleben, somit eine Art Erfolgsindikator sind. Was haltet ihr von dieser These? Im Umkehrschluss müsste man ja sagen: keine Konflikte, keine Integration.

Ayfer Dağdemir: Wenn wir den Begriff der „Integration“ durch den der „Partizipation“ und „Konflikt“ durch „Krise“ ersetzen, sind wir im Grunde wieder bei ganz „normalen“ sozialen Prozessen. Beispielsweise sieht der Psychoanalytiker E.H. Erikson die Krise entwicklungspsychologisch als elementar an. Wichtig ist doch, dass wir Krisen oder Konflikte als dynamischen Prozess des sozialen Wandels verstehen.

Bernd Ridwan Bauknecht: Die von El-Mafaalani vorgetragene These wird ebenso seit geraumer Zeit vom französischen Politikwissenschaftler Olivier Roy vertreten. Aus den Erfahrungen, die ich im Unterricht mit Schülern*innen mache, kann ich nur sagen, dass sie stimmt. Maßstab für die erste Generation war, selbst eine Arbeitsstelle zu haben und dass die Kinder es besser haben sollten. Diese Kinder sind nun aber Teil dieser Gesellschaft und sie möchten auf verschiedenen Ebenen partizipieren. Das ist gut und ein Zeichen von Inklusion, aber es ist nicht einfach und führt natürlich zu Konflikten: zum einen, weil Fragen der eigenen Identität zu klären sind und zum anderen, weil es gesellschaftliche Ängste um den Verlust von Kapitalien gibt.

Norbert Reichel: Bad Godesberg gilt seit dem Wegzug der Botschaften im Villenviertel als ein problematischer Stadtteil mit vielen Konflikten. Nehmt ihr mit eurem Verein auch eine Vermittlungsaufgabe wahr? Wie arbeitet ihr mit dem Integrationsstab der Stadt Bonn zusammen?

Ayfer Dağdemir: Seit dem Wegzug der Botschaften sind nun fast zwei Jahrzehnte vergangen. Mit der Einführung des islamkundlichen Unterrichts an drei Bad Godesberger Grund- und einer Hauptschule wurde ein erster Versuch gestartet, die heranwachsenden muslimischen Jugendlichen über den Islam als Religion und Kultur zu bilden. Dieser Versuch führte auch erfolgreich zu einem neuen Schulgesetz in NRW, wonach muslimische SchülerInnen in NRW ein Recht auf Islamischen Religionsunterricht (IRU) haben. Hier hat Bernd R. Bauknecht maßgeblich, auch auf der Ebene der Deutschen Islamkonferenz mitgewirkt. Eine gefährliche Zuspitzung mit der Verletzung einer Polizistin fand 2012 statt, als ProNRW-Anhänger vor der König-Fahd-Akademie gegen eine angeblich muslimische Gruppe an Demonstranten auftraten. 2015 haben wir dann unseren Verein gegründet, um das Vakuum fehlender kultureller und sozialer Begegnung zu füllen. Der Integrationsstab hat uns hierbei in diversen kulturellen Veranstaltungen und Angeboten unterstützt.

Norbert Reichel: Ein Kernanliegen eurer Arbeit ist die religiöse Bildung. Der Islam scheint einen Schwerpunkt zu bilden. Welche Religionen sind bei euch vertreten und wie fördert ihr den interreligiösen Dialog?

Bernd Ridwan Bauknecht: Die Mitglieder des Vereins gehören verschiedenen Religionen an oder sind in ihrer Ausrichtung agnostisch. Der interreligiöse Dialog spielt allerdings eine große Rolle. Der Verein kooperiert mit christlichen Gemeinden vor Ort und führt gemeinsame Veranstaltungen zu religiösen Themen durch. Beispielhaft seien hier vier Bildungsveranstaltungen des letzten Jahres genannt: 1) die Opfergeschichte um Abraham und Isaak bzw. Ismael in Bibel und Koran, 2) Musik in der islamischen Tradition, 3) Mystikerinnen im Christentum, Buddhismus und Islam, 4). Religiöse Bedeutung Jerusalems im Islam (Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Synagoge Bonn).

Außerdem sind Ayfer Dağdemir und ich seit Jahren im jüdisch-christlich-islamischen Trialog aktiv. Darunter fielen in der Vergangenheit kooperative Seminarangebote am Institut für ökumenische Forschung in Tübingen, das von Hans-Küng gegründet wurde. Aber dazu gehören auch aktuelle Kooperationen zum Beispiel mit dem Pädagogisch Theologischen Institut der ev. Kirche im Rheinland oder dem Pädag. Theol. Zentrum in Stuttgart. Unter anderem war ich in einer zweijährigen Expertengruppe eingebunden, die vom PTI und von BIBOR (Universität Bonn) ins Leben gerufen wurde. Thema waren die plurale Theologie und die interreligiöse Religionspädagogik. Es entstand ein Positionspapier, das am 19. März 2020 im Gustav-Stresemann-Institut in Bonn während einer Tagung vorgestellt wird.

Norbert Reichel: Ein verlässlicher Partner sind für euch die örtliche Evangelische Kirche und der örtliche Islambeirat. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit und wie arbeitet ihr konkret zusammen?

Bernd Ridwan Bauknecht: Die örtliche Zusammenarbeit ist im Laufe der Jahre gewachsen. Es entstand ein reger Austausch bei verschiedenen Anlässen: bei Dialogveranstaltungen, bei Fortbildungsveranstaltungen – ein Austausch, der auch tiefergehende Bindungen und Freundschaften zur Folge hatte. Die Einladung zum örtlichen Islambeirat der ev. Kirchengemeinden erhielt Ayfer Dağdemir, da sie seit Jahren in Bad Godesberg aktiv ist und auch zwischen christlichen und muslimischen Gemeinden vermittelt.

Norbert Reichel: Bonn und insbesondere euer Wohnort Bad Godesberg gelten im Vergleich zu manch anderen Städten im Hinblick auf den Islam als problematisch. So hört man es von Integrationspolitiker*innen auf Landes- und Bundesebene sowie aus für die innere Sicherheit verantwortlichen Kreisen. Könnt ihr diese Einschätzung teilen?

Bernd Ridwan Bauknecht: Unbestritten ist, dass bereits vor dem Jahr 2010 hier Personen wohnten oder sich niederließen, die aus dem salafistisch-wahabitischen Spektrum stammen. Zum einen hatte dies damit zu tun, dass die saudische Auslandsschule „König-Fahd-Akademie“ hier angesiedelt war, zum anderen gab es hier auch aktive Einzelpersonen mit nationaler und internationaler Vernetzung. Nach 2010 trugen die missionarisch-politisierten Aktivitäten, die mittels eigenen Internetseiten aber z.B. auch mittels mehrtägigen Jugendfreizeiten durchgeführt wurden, ihre Früchte. Es entstand eine Art Jugendsubkultur. Aber dennoch sprechen wir hier in der Gesamtheit nur über einen geringen Anteil aller Muslime vor Ort. Diese Entwicklung ist gestoppt und zum Erliegen gekommen. Viele Eltern haben schon bald die Hintergründe und Gefahren erkannt.

Für die große Mehrheit der Muslime in Bonn und Bad Godesberg wurden die Anhänger dieser radikalen Lesart zu einem äußerst großen Problem. Denn alle guten Vorhaben, Entwicklungen, Integrations- und Dialogbemühungen standen nun unter dem Damoklesschwert der inneren Sicherheit. Das hat den gesamten Prozess der Verständigung und gesellschaftlichen Teilhabe ins Stocken gebracht und um Jahre verzögert.

Norbert Reichel: Die Bundesregierung zählt alle Menschen, die einen sogenannten „Migrationshintergrund“ aus der Türkei, dem Iran oder den arabischen Ländern haben, als Muslime. Ob das diesen Menschen recht ist, steht nicht zur Debatte. Wie religiös sind nach eurer Erfahrung Muslime überhaupt?

Bernd Ridwan Bauknecht: Der Begriff „Muslim“ hat alte Stereotype wie „Ausländer“ oder „Türke“ abgelöst. Diese Begriffe werden oft verallgemeinernd eingesetzt und subsumieren dann negative Zuschreibungen.

Tatsächlich finden wir im Islam, ebenso wie in anderen Religionen, eine große Palette unterschiedlichster Formen des Glaubens und des religiösen Alltags. Auch sind manche Menschen wenig bis überhaupt nicht gläubig oder religiös. Das Problem ist, dass viele von einem starren Religions- und Identitätsverständnis ausgehen. Doch Religion ist nichts, was starr ist und einen Menschen übermannt. Sie kann Teil einer breitgefächerten Identität sein.

So erlebe ich viele Jugendliche, die in Vereinen aktiv sind, aber z.B. auch in die Moschee gehen oder sich zumindest für den Glauben und ihre Religion interessieren, ohne dass sie sich dabei mit ihren Interessen oder ihrem allgemeinen Verhalten von anderen Jugendlichen unterscheiden. Es sind oftmals eher die Zuschreibungen, die ihnen Schwierigkeiten machen und Partizipation behindern können.

Norbert Reichel: Wie unterscheiden sich Muslime im Hinblick auf ihre religiöse Praxis von Christ*innen und anderen Religionen oder auch von Menschen, die jeder Religion eher ferne stehen? Oder gibt es gar keine Unterschiede?

Bernd Ridwan Bauknecht: Natürlich gibt es spezifische Rituale und Angebote, die den einzelnen Menschen in seiner Spiritualität unterstützen und die Gemeinschaft bzw. das soziale Miteinander, auch über die eigene Religionsgemeinschaft hinaus, fördern.

Zudem beziehen sich Judentum, Christentum und Islam mit ihren Quellen oftmals auf die gleichen Erzählungen, Überlieferungen und Personen. Friedliche Ziele, positive Haltungen und ethischen Werte sind allerdings universal und an keine Religion oder Weltanschauung gebunden. Es ist immer der Mensch, der zählt.

Leider gibt es das Missverständnis, dass Religionen im Kern exklusiv angelegt seien. Dies entspricht aber nicht der Intention von Religion. Exkludierende undinkludierende Ansätze sind oftmals spätere Entwicklungen, die dann im Nachhinein theologisch untermauert wurden. Liest man aber in den Primärquellen, so lässt sich feststellen, dass darin bereits immer auch plurale Ansätze angelegt sind. Die drei sogenannten abrahamitischen Religionen entstanden jeweils in einem Umfeld unterschiedlichster und konkurrierender Kulturen. Diese pluralen Ansätze in den Schriften werden übrigens ebenfalls am 19. März 2020 bei der Tagung zur Pluralen Theologie und interreligiösen Religionspädagogik Thema sein.  

Norbert Reichel: Sama Maani, ein österreichisch-iranischer Psychoanalytiker, hat meines Erachtens plausibel vorgetragen, dass diejenigen, die den Islam kritisieren, nicht die Religion, sondern die Menschen mit ihren jeweiligen Herkunftsländern meinen: arabische Länder, Türkei oder Iran. Sie machen den Islam sozusagen zu einem unveränderlichen Charaktermerkmal von Menschen und argumentieren auf diese Weise rassistisch. Habt ihr einen ähnlichen Eindruck und wie könnte man eine solche Haltung aufbrechen?

Bernd Ridwan Bauknecht: Mit fundierter Religionskritik kann ich gut umgehen. Eine solche Haltung respektiere ich zutiefst, da in der Auseinandersetzung fruchtbare Erkenntnisse gewonnen werden können.

Tatsächlich ist aber schon die Berichterstattung zum Thema Islam sehr häufig dadurch geprägt, dass wenig differenziert eine ganze Religionsgemeinschaft stigmatisiert wird. Dies geschieht häufig auch unbewusst, indem u.a. historisch geprägte Narrative des „Wilden“ oder zumindest des Rückständigen auf Muslime projiziert werden. Die Betroffenen kommen dabei viel zu wenig selbst zu Wort. Oder es werden in Diskussionsrunden sogar noch Personen eingeladen, die die Stigmatisierung verstärken.

Dagegen würden positive Berichterstattungen, stärkere Differenzierungen und konstante Aufklärung helfen. Auch wäre es sinnvoll, einen Begriff wie „Muslime“ als Sammelbegriff aus der Integrationsdebatte herauszunehmen. Leider ist im politischen Geschäft eine emotionale Integrationsdebatte Teil der Streit(un)kultur und des Wahlkampfes geworden. Eine Konzentration auf Sachthemen und reale Probleme wäre hilfreich.

Norbert Reichel: Ein Aktivposten eurer Arbeit ist die Mitwirkung beim Islamischen Religionsunterricht, der inzwischen in einigen Schulen recht erfolgreich wirkt.

Bernd Ridwan Bauknecht: Seit einigen Jahren arbeite ich als Lehrer für Islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen in Bad Godesberg. Aufgrund meines Studiums der Islamwissenschaft und der Empirischen Kulturwissenschaft wurde ich im Jahr 2004 für den Schulversuch Islamkunde eingestellt und erhielt eine pädagogische Weiterbildung für Seiteneinsteiger.

Ich habe an der Lehrplankommission und an einigen Schulbuchprojekten mitgewirkt. Ebenso habe ich Materialien für die Bundeszentrale für politische Bildung und die Universität Münster entwickelt. In diesem Jahr werde ich meine Dissertationsschrift „Buch des Erinnerns. Ein Beitrag zur Hermeneutik und Didaktik des Korans“ abschließen.

Norbert Reichel: Was lernen muslimische Kinder in der Schule und was lernen Sie in der Familie über den Islam, was über die wechselvolle Geschichte Deutschlands und der Länder, aus denen ihre Familien vor längerer Zeit zu- und eingewandert sind?

Bernd Ridwan Bauknecht: Der islamische Religionsunterricht bietet die Möglichkeit der Reflektion. In den Familien wird Religion sehr unterschiedlich und vielfältig gelebt. Im Unterricht erhalten die Schüler*innen die Möglichkeit, die eigenen vermeintlichen „Glaubenswahrheiten“ zu hinterfragen. So werden im Unterricht lebensbezogene Themen wie Freundschaft, Liebe, Gleichwertigkeit der Menschen, Gleichberechtigung, Gottes- und Menschenbilder sowie ethische Fragen mit religiösen Quellen in Beziehung gesetzt. Dabei ist für die Schüler*innen immer interessant, den historischen Kontext kennenzulernen und Bezüge zu ihrer eigenen Lebenswelt herzustellen. So etwas kann geübt werden. Dazu ist eben Religionsunterricht da.

Darüber hinaus haben wir an der Elisabeth-Selbert-Gesamtschule in Bonn Bad Godesberg eine gemeinsame Fachkonferenz des evangelischen, katholischen und islamischen Religionsunterrichtes. Dadurch kooperieren wir bei religiösen Feiern, bei Projekten und fächerübergreifenden Themen. Bereits die Lehrpläne des Landes sind diesbezüglich interreligiös angelegt.

Ebenso kooperiere ich z.B. mit den Fächern Geschichte, Praktische Philosophie und Politik. Es mir wichtig, dass bereits im Jahrgang 6 die Gedenkstätte in Bonn besucht wird. Auch kooperiert unsere Schule mit dem Projekt „Likrat – Dialog und Jugend“ des Zentralrates der Juden.

Migration und Flucht werden gleichfalls in verschiedenen Fächern thematisiert. Allerdings bleibt das Thema oft noch an der Oberfläche. Die Kulturleistungen der Migranten oder der Herkunftsländer werden definitiv noch zu wenig gewürdigt. Es sollte normal sein, dass in den unterschiedlichen Fächern Bezug auf außereuropäische Literat*innen, Künstler*innen, Forscher*innen und derenr Leistungen genommen wird.

Norbert Reichel: Erlebt ihr Anfeindungen wegen eurer Arbeit und eurer Einstellung und wie geht ihr damit um?

Ayfer Dağdemir: Am 24.11.2019 erlebte ich das erste Mal eine Anfeindung von Seiten einer AfDlerin, die schon während unserem Podiumsgespräch zum Thema Religion und Demokratie im Haus der Geschichte sich sehr auffällig verhielt. Abgesehen davon, bisher Gott sein Dank nicht.

Norbert Reichel: Welche Rolle spielen in eurer Arbeit antiislamische Einstellungen?

Ayfer Dağdemir: Wir bevorzugen die von Wilhelm Heitmeyer geprägte Bezeichnung der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, die auch noch weiter gefasst ist (z.B Homophobie, Abwertung von Obdachlosen, Abwertung von Behinderten, Sexismus, Abwertung von Langzeitarbeitslosen etc.). Ich nenne ein persönliches Beispiel: als gebürtige Türkin stelle ich (leise) in vielen Bereichen eine kulturelle Diskriminierung fest, ohne dass dabei der Begriff antitürkisch gebraucht wird. Es ist schon ein größeres Problem, wenn jemand, der aus welchen Gründen auch immer die türkische Politik oder das Geschehen in arabischen Ländern oder im Iran kommentiert, Missstände vorwiegend oder sogar ausschließlich mit dem Islam identifiziert. Es ist wichtig, solchen Phänomenen einen allgemein wissenschaftlichen Namen zu geben, so dass im sozialen Raum „begriffliche Gleichheit“ hergestellt wird: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit habe ich ganz stark nach dem Putschversuch in der Türkei erlebt, als verschiedene Menschen und auch Gemeinden Probleme hatten, weiterhin auf die Gemeinde der Fatih-Moschee zuzugehen. Hier haben wir als Verein auf beiden Seiten Dialogarbeit geleistet, um klar zu machen, wie wichtig es ist, mit den Menschen vor Ort zu sprechen, anstatt den hetzerischen Meldungen der Medien Gehör zu geben, die plötzlich die gesamte DITIB und viele Muslime gleich mit unter Generalverdacht stellte. Das war nicht immer ganz leicht.

Norbert Reichel: Was bringen die in den letzten Jahren zugewanderten Menschen nach euren Erfahrungen an Einstellungen mit? Wie kann es gelingen, ihr Interesse zu wecken, sich aktiv an der Gestaltung eines friedlichen und demokratischen Zusammenlebens im Stadtteil zu beteiligen?

Ayfer Dağdemir: So unterschiedlich Menschen sind, so unterschiedlich sind ihre Einstellungen und Erfahrungen. Wichtig ist, sie in ihren Kompetenzen zu erkennen und chancengleich zu behandeln. Viele sind geflohen, weil in ihrem früheren Lebensraum kein friedliches Leben mehr möglich war. Durch Begegnung kann das Zusammenleben auf beiden Seiten bereichert werden. Viele verstehen „Kapital“ ausschließlich materialistisch. Nach Pierre Bourdieu gibt es aber auch soziales und kulturelles Kapital, das die Gesamtheit aller sozialen und kulturellen Beziehungen gegenseitigen Kennens und Anerkennens darstellt und immateriell ist.

Norbert Reichel: Welche Rolle spielen bei eurer Arbeit aktuelle Entwicklungen in den arabischen Ländern, in der Türkei und im Iran? Und wie reagieren die Menschen mit einer Familiengeschichte in und aus diesen Ländern darauf, wie hier in der Regel darüber gesprochen wird, beispielsweise über arabischen Frühling, über die Menschenrechte in diesen Ländern?

Bernd Ridwan Bauknecht: Sicherlich spielen diese Entwicklungen eine Rolle. Es wird in den Familien und Communities darüber diskutiert. Die Demonstrationen in den Maghrebstaaten beginnend von Tunesien, Ägypten bis Algerien wurden und werden positiv aufgenommen. Denn ein Leben in einem Rechtstaat mit funktionierenden demokratischen Strukturen finden in der Regel alle vernünftigen Menschen gut.

Außerdem sind viele über die Politik in ihren Herkunftsländern informiert. Sie kennen nicht nur die hiesige Berichterstattung, sondern auch die Verhältnisse und die Berichterstattung vor Ort.    

Norbert Reichel: Ihr arbeitet auch außerhalb der Schule, seit Anfang 2019 auch in einer Justizvollzugsanstalt mit muslimischen Strafgefangenen. Was macht ihr da konkret und wie bewertet ihr euren Einsatz?

Bernd Ridwan Bauknecht: Wir führen einmal in der Woche einen muslimischen Gesprächskreis durch, bei dem unterschiedliche Themen besprochen werden. An dem Gesprächskreis nehmen auch interessierte nichtmuslimische Gefangene teil. Die Lektüre des Korans und anderer religiösen Quellen mit anschließender Interpretation und Exegese ist ein Bestandteil des Gesprächskreises.

Ferner führt Ayfer Dağdemir jede Woche mit Gefangenen Einzelgespräche. Hier geht es vor allem um seelsorgerische Fragen. Außerdem berät Frau Dağdemir die Justizvollzugsanstalt in Rheinbach bezüglich religionsbezogener Themen und ist mit den Angestellten, Sozialarbeiter*innen und christlichen Seelsorgern in ständigem Austausch. Unter anderem geben wir Hinweise für geeignete Literatur, die dann für die Gefangenenbibliothek angeschafft wird. Außerdem lese ich einmal im Monat die Freitagspredigt und leite das anschließende Freitagsgebet.

Die Gefangenen nehmen das Angebot sehr dankbar an. Von den Sozialarbeiter*innen und Angestellten erhalten wir die Rückmeldung, dass es weniger Spannungen im Alltag gibt.

Norbert Reichel: Wenn ihr für Integrationspolitik maßgeblich verantwortlich wärt, was würdet ihr als erstes auf den Weg bringen und was sollte man auf jeden Fall vermeiden?

Bernd Ridwan Bauknecht: Ich würde als erstes das Wort Integration abschaffen und es in alle Zukunft vermeiden. Nein, aber ernsthaft. Der Begriff ist ungenau. Wollen wir immer noch den türkischen Mittelständler integrieren, der seine Steuern zahlt und dessen Kinder ein Gymnasium oder eine Gesamtschule besuchen? Es geht um die Stärkung bisheriger Strukturen: im Bereich der Arbeitsmarktpolitik oder im Bildungsbereich. Und es geht darum, dass Diversität nicht problematisiert, sondern normalisiert wird. Das bedeutet beispielsweise im Bildungsbereich, dass verschieden-kulturelle Leistungen inhaltlich in der Lehrerausbildung eine viel größere Rolle spielen sollten.

Ayfer Dağdemir lebt in Bonn Bad Godesberg und ist seit 2002 als freiberufliche Referentin zu Fragen der islamischen Religion und Kultur sowie in der islamischen Seelsorge und dem interreligiösen Dialog tätig; als Vorsitzende von ANqA e.V., Verein für Transkulturelle Bildung in Bonn, liegt ihr Arbeitsschwerpunkt neben der Vernetzung in der Konzeption und Durchführung von Themenkreisen zu aktuellen Fragestellungen der Gesellschaft.

Bernd Ridwan Bauknecht ist seit dem Jahre 2004 als Lehrer für Islamkunde / Islamischen Religionsunterricht im Schuldienst tätig. Er studierte Islamwissenschaft und Empirische Kulturwissenschaft an der Universität Tübingen. Er ist Mitautor von Schulbüchern zum Islamischen Religionsunterricht und entwickelt Arbeitsmaterialien zum Thema Salafismus/Islamismus. Außerdem veröffentlicht er in wissenschaftlichen Publikationen zu Themen der Religionspädagogik und Korandidaktik.

(Anmerkungen: Erstveröffentlichung im Januar 2020, Internetlinks wurden am 17. September 2022 auf Richtigkeit überprüft.)